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Wo ist die Pausetaste für Familien wie uns?

[Achtung: Es folgt Jammern auf hohem Niveau!] Ich liebe mein Leben. Trotz Alus Krebserkrankung und dem damit verbundenen höheren Stresslevel. Alles was wir erreicht haben, schafften wir gemeinsam und das ziemlich gleichberechtigt.

Doch ab und an merke ich, dass unser Leben momentan kein Zuckerschlecken ist. Alle drei Kinder waren in der letzten Woche daheim. Und, naja, lebhaft ist ein etwas ungenauer Ausdruck. Alu hatte ihre letzte große Chemo und schon zwei kleinere (nun folgen noch zehn kleine) und ich hätte mehr arbeiten müssen. So richtig zu irgendetwas bin ich nicht gekommen. Zudem hat meine Liebste genug mit sich zu tun.  Bisher hat sie sich echt sehr gut geschlagen (keine Notaufnahme). Dennoch liegt auf unserer Couch liegt meine schwerkranke Frau und die Kinder fühlen sich irgendwie immer noch wie im Hotel Mama und Papa. Das überfordert mich und es steigt Wut in mir hoch.

Ich denke an Paare ohne Kinder, die sich voll auf sich und die Erkrankung fokussieren. Oder die, die erst Krebs bekamen, als die Töchter und Söhne schon aus dem Gröbsten raus waren.

Dann frage ich mich, wo ist die unterstützende Familienpolitik?

Wo ist der Arbeitnehmerschutz im Krankheitsfall?

Warum müssen Eltern nach einigen Wochen mit weniger Geld auskommen?

Sind Mütter schuld an ihrer Krankheit oder Väter?

Ich bin nicht undankbar, dennoch scheint mir soziales Handeln an seinen Grenzen. Dabei sind dies meiner Meinung nicht die Grenzen des Machbaren, sondern einer gewissen politischen Ausgangslage. Unter anderem das, dass die meisten Wähler über 55 Jahre alt sind, rein statistisch. Und die zählen noch zu den guten Rentnern, zu denen, die in Ihrem Arbeitsleben oftmals zu gut bezahlt wurden, deren Lebenshaltungskosten lange sehr gering waren und die mit wenig oder keinem Abschlag mit 63 Jahren in Rente gingen. Es ist die Generation unserer Eltern.

Und was wird mit ihren Enkeln, unseren Kindern? Uniabschluss und das Gehalt einer heutigen Verkäuferin, mit weniger Kaufkraft? Mit 75 Jahren in Rente, um uns als Rentner durch ihre Arbeit auszuhalten?

Dann wache ich wieder auf in meiner Realität. Dort hoffe ich, dass ich den nächsten Tag gut schaffe, die nächste Woche bestehe und vor allem den arbeitsreichen September halbwegs performen kann. Denn ich will meinem geduldigen Arbeitgeber zeigen, dass ich es noch kann und mir selbst Ablenkung verschaffen kann. Doch bisher läuft es mit der Teenager-Autarkie nicht so gut. Zwei Kinder diskutieren, anstatt einfach zu helfen. Es kostet Kraft, einen sechsjährigen Wirbelwind in Zaum zu halten. Nun bin ich wesentlich stärker involviert und ich erinnere mich dankbar an eine Zeit der Gewaltenteilung. 

Dann frage ich mich: Wo ist die Pausetaste, um sich auszuruhen, auf meine Frau besser einzugehen, einmal seine Sachen zu machen, Kraft zu tanken und vor allem auf alles zu schauen. Das eigene Handeln zu überdenken und daraus besser zu werden. Wo ist die Pausetaste für unsere Welt?

Es gibt sie so nicht. Also bemühe ich mich um Fassung. Ich schaue auf die Erfolge im Kampf gegen den Krebs. Auf die Dinge, die in unserer Gesellschaft gut laufen. Jeder schöne Moment soll eingesammelt werden. Es funktioniert bisher und ich bete, dass es so bleibt – bis wir durch sind. Eine Pausetaste wäre mir zwar lieber, doch finden werde ich sie nicht. Dann besinne ich mich, die warme Hand meiner Liebsten in meiner, beim abendlichen Spaziergang durch unser Viertel. Wie gut es uns geht. Wie stark unsere Liebe ist und wie viel wir schaffen und geben können.

Schließlich wird mir klar, irgendwann sollten wir wieder auf Play drücken für uns und andere, die es nicht können. In der aktuellen Zwischenzeit begnügen wir uns wohl einfach mit Slow Motion.

Konsti

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2 Comments

  • Anne
    11. September 2022 at 15:18

    Lieber Konsti,
    ich sehe das hohe Niveau im Beisein schwerer Krankheiten nicht. Und wünsche euch von Herzen, dass Alu gut durch die Krankheit und ihr anderen gut durch die Zeit kommt.

    Die Pausetaste in meinem Leben ist die Erkenntnis, dass ich vom ganzen Alltagswahnsinn eigentlich nur zwei Dinge wirklich unverzichtbar finde, und das ist was zu essen auf dem Teller und meinen Liebsten zu sagen, wie wichtig sie mir sind. Alles andere wird nur nach Kraft abgearbeitet.

    Danke für den Text!
    Anne

  • Mira
    23. September 2022 at 14:12

    Wir fragen uns auch immer, ob man nicht mal eine Pause machen könnte.

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