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Verloren im Antragsorbit #Nixklusion #Brustkrebs

Neulich habe ich mir die App meiner Krankenkasse heruntergeladen, man soll einfacher in Kontakt stehen und die Bearbeitung der Anträge besser verfolgen können.Das man einfacher mit den verschiedenen Abteilungen in Kontakt steht, das kann ich bestätigen. Aber, nun ja, dass dadurch das Antragswesen transparenter wird, das kann ich nicht bestätigen.

Da ist zum Beispiel mein Antrag auf Zuzahlungsbefreiuung. Immer wieder reiche ich Belege über die App ein, scanne, hefte ab und sortiere. Die Bescheide, die mir in der App in einem Postfach angezeigt werden, kann ich jedoch nur dort lesen. Ich muss sie mir also selbst zuschicken per E-Mail, damit ich dann die Bescheide in passenden Ordnern auf meinem Desktop ablegen kann.

Überhaupt hat mein Desktop inzwischen eine spannende Ordnerstruktur, wenn es um Anträge geht.

So hat jedes Kind einen eigenen Ordner und darin befinden sich andere Ordner, die dann für den jeweiligen Vorgang stehen. Mein Lieblingsordner ist der vom Sohn. Dank seiner Schwerbehinderung und dem Besuch einer Förderschule müssen wir zum Beispiel jedes Jahr einen neuen Antrag für den Fahrdienst stellen.  Es werden immer aktuelle Arbeitgeberscheinigungen, Erklärungen zur Behinderung und zum Elternhaus und Nachweise über Geschwister verlangt. Belege, die wir jedes Jahr neu einholen, kopieren und natürlich unterschreiben müssen. In diesem Jahr habe ich zum Nachweis meiner derzeitigen Tätigkeit zum Beispiel mein komplettes Tumorboard und den Fahrplan meiner Chemotherapie hineingepackt. Mein Mann hat passend dazu einen Nachweis seiner Vollzeitstelle vom Oktober 2022 hineingetan. Aber: Eine Krebserkrankung gilt nicht als Vollzeitbeschäftigung (wer das bestreitet war noch nie selbst lebensbedrohlich erkrankt) und so musste ich einen aktuellen Nachweis beim Arbeitgeber anfordern, für mich ein sehr unangenehmes Unterfangen. Da die Bescheinigung des Mannes nicht aktuell genug war, mussten wir zudem eine neue nachfragen, 3 Monate nach der letzten! Peinlich! Was aus dem Antrag geworden ist, das erfahren wir hoffentlich bald, er ist im *Antragsorbit verschwunden. Ich hoffe sehr, dass er auch im nächsten Schuljahr wieder mit dem Bus fahren darf.

Ein weiterer Unterordner vom Sohn ist der mit dem Titel “Reise”.

Zusammen mit dem *Sozialpädiatrischem Zentrum (SPZ genannt) haben wir entschieden, dass es Zeit wird den Sohn auf seine erste integrative Reise zu schicken. Nach einigen Recherchen fand ich einen Träger mit maximal 20 Kindern in einer Gruppe und dem Angebot einer 1:2 Betreuung, die wir aufgrund von verschiedenen Dingen benötigen. Der Träger übersandte mir die Unterlagen mit dem Hinweis, dass der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg die kompletten Reisekosten für behinderte Kinder übernimmt und schickte mir die Paragraphen. Ich freute mich und schickte die Reiseunterlagen mit der Bitte um Übernahme dieser Teilhabemöglichkeit an den Pankower Teilhabefachbereich. Nun ja, die erste Rückmeldung lautete: Wir kennen solche Kostenbeteiligungen nicht (hat also noch nie jemand vorher im Bezirk Pankow solch einen Antrag gestellt?). Ich konnte abhelfen, mit Paragraphen und Teilhabenachweisen. Die zweite Rückmeldung lautete: In Pankow übernehmen wir die Kosten nicht, hier ist der Träger dafür nicht zugelassen. Ehrlich, ich weiß nicht warum Pankow und Friedrichshain anscheinend auf unterschiedlichen Kontinenten liegen, aber meine Geburtsstadt Berlin bringt mich manchmal zur Weißglut! Das Ende vom Lied, wenn der Sohn mitfahren soll, dann könnte Pankow einen Teil übernehmen, was einen Restkostenbetrag von fast 600 Euro für uns Eltern macht. Ich habe dem Träger nun geschrieben, dass wir das unbedingt möchten, auch damit der Sohn mal ohne Krebs von Mama ein paar Tage hat. Aber, wie wir das auf einen Schlag bezahlen sollen, keine Ahnung. Ach so, Pankow hat mir dann andere Träger angeboten, für die sie Kosten übernehmen würden. Klar, dass  da nach Antragsstellung zwischen Februar und April nix mehr zu holen war!!

Auf dem Desktop habe ich natürlich auch mehrere Ordner für mich angelegt.

Wer krebskrank ist, hat niemals Langeweile und Papiermangel! Ich habe derzeit einen Antrag auf Erhöhung der Schwerbehinderung beim *Landesamt für Gesundheit und  Soziales (genannt LAGESO) laufen. Der Sozialdienst vom Krankenhaus hatte dies empfohlen, da ich ja beide Brüste verloren habe und in einer ambulanten Tablettenchemotherapie für zwei Jahre bin. Meinen Antrag habe ich per Post geschickt und wollte die Unterlagen gleichzeitig per E-Mail übersenden. Leider darf man keine Anhänge schicken und auf meine Nachfrage, ob ich denn einen Zugang zum Portal zum Hochladen bekäme, erhielt ich keine Antwort mehr. Irgendwann jedoch kam ein Brief. Nun ja, ich solle doch mitwirken, immerhin hätte ich ja per E-Mail geschrieben, dass ich meinen Status erhöhen will. Ich war ziemlich perplex, wo sind denn meine Unterlagen hin? Ich habe also bei der 115 angerufen (man kann nämlich nicht direkt mit dem LAGESO kommunizieren) und konnte nicht durchgestellt werden. Aber, ein neuer Brief trudelte ein. Man würde meine übermittelte Nachricht bearbeiten. Ich weiß also nicht, wo sind meine Unterlagen und was wird noch benötigt? Wahrscheinlich alles im *Antragsorbit verschwunden.

Mein neuer Lieblingsunterordner auf meinem Desktop ist ist jedoch die Causa: medizinisches Tablet für den Sohn (und da schließt sich der Kreis zur App). Nicht ohne Grund besucht der Sohn eine Schule für körperliche Behinderungen. Seine Handschrift gleicht einem Arzt über 60 und er ist zu langsam für Mitschriften. Einen Laptop konnten wir über private Kontakte bereits stellen, aber die Tastatur ist für ihn im Alltag zu schwer. Also, so von der Schule und dem SPZ* entschieden, er braucht was Neues. Wir haben also ein Rezept per Krankenkassen App eingereicht, mit einem neuen Arztbrief. Bereits kurze Zeit später dann ein Brief in meiner App! Nun ja, die Krankenkasse ist nicht dafür zuständig. Der Antrag liegt nun beim Sozialamt Pankow. Als alter Hase der Anträge weiß ich natürlich sofort: Falscher Ort! Der muss zur Teilhabe. Ich schicke mir den Brief selbst zu, versende ihn an die Teilhabe mit dem Hinweis: Das gehört doch zu ihnen? und bekomme eine E-Mail mit den Worten: “Nein, dafür sind wir nicht zuständig”, zurück. Ich rufe also im Sozialamt Pankow an (es dauert, aber man bekommt jemanden ans Telefon). Ja, den Antrag kennen sie. Der war da falsch und ging an die Teilhabe, kam aber von denen zurück und nun ist irgendwie noch offen. Man wisse noch nicht, wer den bearbeitet. Diese Anträge seien sehr, sehr selten!

Ehrlich Leute, was nützt mir die ganze Digitalisierung und Transparenz dieser wunderbaren App, wenn ich dann doch mit jedem Vorgang wieder im *Antragsorbit stecken bleibe!

Um den Überblick über all die Anträge zu behalten, habe ich inzwischen bestimmte Zeiten im Kalender reserviert. Es sind Tage und Stunden, in denen ich nachfrage, mich kundig mache und manchmal auch nur auf den Bildschirm meines Handys starre und auf neue Nachrichten in der App warte, um andere Anträge stellen zu können. Dann sende ich mir die Briefe zu und verteile sie weiter.

Irgendwann, wenn ich hoffentlich wieder gesund und munter bin, dann werde ich mich doch nochmal expliziter in diesen Bereichen engagieren müssen. Es kann so für Familien nicht weitergehen. Wir gehen unter! Ich, als Muttersprachlerin mit akademischem Abschluss und Verwaltungserfahrung komme hier absolut an meine Grenzen. Wie mag es dann erst Menschen mit weniger Sprachkenntnissen oder Langmut gehen? Das geht so nicht weiter, das ist alles #Nixklusion.

Mein Handy pingt. Eine neue Nachricht in  meiner Krankenkassen App. Es werden für meinen Antrag auf Zuzahlungsbefreiuung noch meine Nachweise des Krankengeldes benötigt. Nun ja, die selbe Krankenkasse überweist das Geld und schickt mir monatliche Briefe dafür zu. Anscheinend haben diese Abteilungen aber noch nie etwas voneinander gehört…aber was weiß ich schon über Abteilungen und Kommunikation in den langen und tiefen Weiten des *Antragsorbit. Ich bin darin längst verloren gegangen.

Alu

*Antragsorbit: Als Umlaufbahn oder Orbit wird in der Astronomie die Bahnkurve bezeichnet, auf der sich ein Objekt aufgrund der Gravitation im freien Fall periodisch um ein anderes Objekt bewegt, den Zentralkörper.

verloren im Orbit

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11 Comments

  • Franzi
    22. April 2023 at 08:26

    Oh, ich kann mich so reinversetzen. Dabei haben wir noch nicht mal solche großen besonderen Themen wie ihr, sondern nur den alltäglichen Wahnsinn mit Steuererklärung, Strom, Gas, Krankenkasse, Beihilfe, Riester, Hort, Schulessen, Hundesteuer, Grundsteuer, Telefonverträgen, GEZ, Klassenfahrten, Wandertagen…. Ich hasse diesen Kram und die Papierberge dazu von Jahr zu Jahr mehr. So eine Verschwendung von Lebenszeit.
    SPZ ist das “sozialpädiatrische Zentrum” – hatte auch damit zu tun (;

  • Alu und Konsti
    22. April 2023 at 16:39

    Ja, das kann doch nicht sein..

  • Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 25.4.2023 – Buddenbohm & Söhne
    25. April 2023 at 06:08

    […] Verloren im Antragsorbit. Von Alu, die gestern gerade zur Goldenen Bloggerin geworden ist, das sei hier auch erfreut angemerkt – Glückwunsch nach Berlin! Ansonsten ist es absolut entsetzlich, was rund um schwere Krankheiten, Pflege, Inklusion etc. an Admin-Aufwand zu leisten ist, es ist ein Desaster für alle Beteiligten, das schon für gesunde Menschen kaum zu bewältigen ist und Bemühungen um Vereinfachung, sind, wenn es sie überhaupt gibt, kaum zu erkennen. Ich habe beruflich mit Bemühungen um Vereinfachung zu tun, und ich glaube daher erkennen zu können, wenn Systeme einfach so vor sich hin eskalieren. […]

  • Veronika Lévesque
    25. April 2023 at 07:36

    Liebe Alu

    Darf ich diesen Blogartikel auf einem Blog reposten, der hauptsächlich von Verwaltungsmitarbeitenden gelesen wird?
    http://www.agile-verwaltung.org ? Vielleicht wird jemand aus der Leserschaft dort nachdenklich… hoffentlich….

    Herzlich
    Vero

  • Alu und Konsti
    25. April 2023 at 08:59

    Guten Morgen, sehr gern. Lg

  • Katharina
    25. April 2023 at 10:13

    Liebe Alu,
    I feel you. Unser Sohn ist auch eine Special Edition. Die Anträge und Kämpfe, die wir jedes Jahr wieder für Teilhabeassistenz, Therapien, SBA, Pflegegeld und so weiter stellen und ausfechten müssen, ermüden uns hin und wieder.
    Auch wir fragen uns, wie Mitbürger mit schlechten Sprachkenntnissen und weniger Hartnäckigkeit, sich in diesem Dschungel zurecht finden sollen. Auch wir haben uns vorgenommen, andere zukünftig in diesem Bereich zu unterstützen. Bisher haben wir noch nicht die Zeit gefunden.
    Beim lesen Deines Beitrages ist zum Beispiel gerade eingefallen, dass ich jetzt gleich ganz dringend ein Foto unserer Spezialausgabe ans Versorgungsamt schicken muss….

  • Veronika Lévesque
    27. April 2023 at 11:37

    Liebe beide
    voilà der Repost inkl. Kommentar- ich hoffe, das passt auch für euch so : https://agile-verwaltung.org/2023/04/27/leben-und-verwaltung-uber-die-haltung-der-verwaltung-zu-ihren-eigenen-leistungen/

  • Tine
    29. April 2023 at 13:38

    Die GKV ist natürlich für Hilfsmittel zuständig, die der Ermöglichung des Schulbesuchs dienen. Gg eine Weiterleitung durch die GKV bestehen leider keine Rechtsmittel, aber der Anspruch ist dann auch gegen den weiteren Rehaträger weiter bestehend. Ansonsten Widerspruch einlegen! Ggf RÄe beauftragen, auch, wenn nur kleiner Kampf im Alltag.

  • K.
    5. Mai 2023 at 08:34

    Sehr ermüdend und ganz sicher NICHt, was Mensch in diesen Situationen braucht. Auch die Digitalisierungskomponente ist ein Witz. Und wenn man dann noch überlegt, dass nicht alle Anwender studiert sind oder deutsche Muttersprachler… kurz: ein Elend. Aber, Achtung, jetzt wird es politisch: So ist das nun mal in einem steuerfinanzierten Sozialstaat. Die Alternative wäre: weniger steuerliche Abzüge für alle = mehr eigenes Geld und damit könnte man dann einfach unkompliziert alles selber bezahlen, was man so braucht. Diese komplizierten Winkelzüge durchs System kommen doch nur dadurch zustande, weil einem suggeriert wird, dass einem etwas zustehe, welches aber eben erst ermöglicht wird durch die ganzen Abgaben, die uns vorher abgezogen wurden. Oooooh Vorsicht, höre ich die Kritiker sagen: Aber was ist denn mit denen, die sich das sonst gar nicht leisten könnten. Wir leben nun mal in einer Solidargemeinschaft und das ist auch gut so. Nun, ich kommentiere in einem Blog, dessen Familie sich im christlichen Umfeld bewegt, Einer der größten Solidargemeinschaften seit Anbeginn. Wenn dem Individuum mehr von seinem eigenen erarbeiteten Geld oder ererbten Vermögen bliebe, statt Steuern und sonstige Pflichtabgaben zu zahlen, ist es in gutem christlichen Sinne, den, der es gerade braucht, zu unterstützen. Sei es, dass eine Gemeinde für eine Ferienreise sammelt oder ein technisches Gerät oder den unterstützenden Fahrdienst. Ganz unbürokratisch, undigital von Mensch zu Mensch. Ich bin mir sicher, wir könnten das, denn nur so haben Menschen Jahrtausende lang überlebt. Ja, das ist auf den ersten Blick keine verbindliche, zuverlässige Lösung. Aber dieses rumgeeiere und nciht zusändig Sein durch die Behörden, ist menschenunwürdig. Das wird hier zu lang.
    Alu, euch weiterhin viel Kraft und Sachbearbeiter, die mal out-of-the-Box agieren, dass alles in die Puschen kommt.

  • Jasmin
    8. Mai 2023 at 10:47

    “Es kann so für Familien nicht weitergehen. Wir gehen unter! Ich, als Muttersprachlerin mit akademischem Abschluss und Verwaltungserfahrung, komme hier absolut an meine Grenzen. Wie mag es dann erst Menschen mit weniger Sprachkenntnissen oder Langmut gehen?”

    Das denke ich mir auch bei nahezu jedem Formular, das ich ausfüllen muss. Wenn wir als Akademiker uns damit schon schwertun, wie sollen es Menschen schaffen, die mit Amtsdeutsch und sonstigen Formulierungen einfach nicht klarkommen? Ich kenne einige Menschen, die bei weitem nicht unintelligent sind, aber dennoch an einer “einfachen” Steuererklärung scheitern. Es braucht dringend ein Schulfach, das solche Dinge lehrt, kostenlose VHS-Kurse zu diesem Thema oder kostenfreie Beratungsstellen in ausreichender Zahl, die bei solchen Dingen helfen.

    Was die Notwendigkeit, Dinge jährlich neu zu beantragen angeht, nervt es echt extrem. Behinderungen ändern sich ja in der Regel nicht von Jahr zu Jahr.

    Ich drücke die Daumen, dass die Anträge bald an den richtigen Stellen sind und vor allem genehmigt werden!

  • Anna
    23. Juni 2023 at 12:25

    Es müsste eine fast track für Menschen wie dich geschaffen werden, so dass dir schnell und unkompliziert geholfen wird. Macht mich irgendwie traurig sowas, aber Bürokratie Probleme kenne ich leider auch mit Kind. 🙁 Was du alles meisterst. Hut ab! Da kommen mir meine Probleme plötzlich kleiner vor. Ich wünsch dir alles Gute!

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