Ich habe mich mit meiner Freundin Nika über das anstehende Zuckerfest unterhalten und sie gebeten mal aufzuschreiben, was genau Ramadan und Zuckerfest eigentlich genau für Familien bedeuten.
Als ich ein kleines Mädchen war, hatte ich einen Onkel Ali. Die Schwester meiner Mutter hatte damals Onkel Ali geheiratet und diese hatten mir Arzu und Orhan als Cousins geschenkt .Manchmal sind wir sie hier in Berlin besuchen gegangen.
Wir wohnten damals in einem äußerst feinen Neubaugebiet in Lichterfelde – damals war das dort sehr schick. Meine Tante und Onkel Ali lebten im Berliner Wedding. Ich fand das damals eine ganz schlimme Ecke -heutzutage würde man es wahrscheinlich authentisch urban nennen, oder so. Ich fand es damals verrucht. Das lag aber sicher daran, dass unten im Haus meiner Tante (im Vorderhaus) ein Sexshop, oder Sex Kino drin war. Jedenfalls prangte vorne eine lebensgroße Dame auf dem Plakat zu dem anrüchigem Geschäft – sie hatte außer zwei Sternchen auf den Nippeln und einer 80 iger Föhnwelle nichts an!
Wenn ich also mit ca. fünf Jahren, in meinem Rüschenkleid, und polierten Lackschühchen daran vorbei marschierte, fand ich das geradezu skandalös! Der Gipfel des Ganzen, so fand ich damals war, dass meine Cousine und mein Cousin keine eigene Toilette hatten!
Die war nämlich mitten im Treppenhaus des Berliner Altbaus und man teilte sie sich mit den Nachbarn! Man stelle sich das mal vor! Jedenfalls war ich gern dort zu Besuch – Onkel Ali kniff mir zur Begrüßung immer in die Wange und es gab meist etwas zu essen. Wir Kinder spielten und es roch in der ganzen Wohnung nach Hülsenfrüchten und anderen Spezialitäten. Ob mein Onkel Türkisch war, oder dieser Teil der Familie muslimisch, spielte dabei nicht sonderlich oft eine Rolle.
Nur manchmal regte sich meine Mutter im Auto auf dem Heimweg darüber auf, dass meine Tante beim Salat zubereiten ein Gefäß nutzte, dass in ihren Augen eher eine Fußwanne war. Ach und dann wurde es doch mal Thema, dass Orhan sagte “Allah hätte 99 Namen” und wie das denn ginge, wenn der Allah nur einer ist.
Was ist das Zuckerfest eigentlich genau?
Ach und Zuckerfest: Die Kinder gehen von Tür zu Tür und küssen die Leute auf die Hand und bekommen dafür Geld, essen Süßigkeiten und nennen es Fest! Man frönt dem bösen Zucker! Das war natürlich die Ausgeburt der Phantasie von uns Unwissenden.
Tja, die Ironie des Schicksals wollte es so, dass morgen bei mir zuhause Zuckerfest gefeiert wird. Heute weiß ich, dass es eigentlich “Eid ul Fitr” heißt und man da nicht weniger Süßes isst als zu Weihnachten, es aber eigentlich gar nicht um den Zucker geht. Mein Mann kommt ursprünglich aus Ägypten – wir haben zwei Kids und sind wahrscheinlich das, was man eine Multi-Kulti – Familie nennen würde und ja, es macht Spaß: Es ist wild, es ist anders und es ist mit jeder Faser unseres Seins -Liebe !
Was Ramadan für mich bedeutet.
Den Monat Ramadan faste ich nun seit fast 20 Jahren. Er tut mir gut. Es ist ein Privileg, denn Kranke, Schwangere, Kinder und Menstruierende sind vom Fasten befreit und sollten nach empfohlener Maßen nicht fasten.
Man besinnt sich. Man besinnt sich auf das wesentliche im Leben.
Wie gut es ist, genügend zu essen und zu trinken zu haben. Wie viel Zeit wir darauf verschwenden wahllos Essen in uns hineinstopfen, ohne wirklich Hunger zu haben. Wie gut es ist, wieder Hunger und Durst bewusst zu spüren und bewusst zu stillen. Andere haben selbst nach Sonnenuntergang nichts zu essen oder zu trinken. Die Dankbarkeit zu empfinden, jederzeit Zugriff auf Nahrung zu haben . Die Achtsamkeit, sich bewusst zu machen, wie vielen Menschen dieses Glück, auf frei verfügbare Nahrung, verwehrt ist und wahrscheinlich auch bleibt. Die Barmherzigkeit zu empfinden ein Stück dieses Glücks mit den anderen teilen zu wollen. Die “Zakat” zu entrichten (Spende an Bedürftige).
Worum geht es eigentlich?
Im Ramadan geht es nicht um uns – es geht um die Anderen von uns. Wer ist bedürftig und wer braucht Unterstützung? Wie gibt man möglichst diskret und ohne die Bedürftigen zu beschämen. Wie kann ich dazu beitragen, dass es einem Anderen nicht mehr nach Nahrung dürstet und den Dingen, welche in unseren Augen selbstverständlich sind.
Wir fangen klein an, indem wir nicht fluchen im Ramadan, nicht lästern, nicht streiten, keine Völlerei praktizieren, ungesundes Verhalten ablegen und an unserem Innerstem zu arbeiten. Wir spenden am Tag des Eids – an Bedürftige, Kranke, uvm. Ich fühle mich verpflichtet. Ich bin aufgewachsen mit Ostern und Weihnachten und diese Feste haben mich geprägt. Als Kind lässt man sich von Festen gern verzaubern und an die Hand nehmen. Der Schmuck und seine Bedeutung, die Familie, die Geschenke, die Seele des Festes -all das möchte man seinen Kindern weitergeben .
In Deutschland ist es für Muslime oft eine Herausforderung, ihre eigene Feste die entsprechend zu zelebrieren.
Immerhin wird hier nicht wie in den meist islamisch geprägten Ländern die Straße geschmückt und die Bräuche in der gesamten Stadt gefeiert. Die Moscheen laden einzeln ein, dennoch hat nicht jeder eine Gemeinde, der er sich explizit zugehörig fühlt. So sind wir Erwachsenen in der Pflicht unseren Kindern das Fest entsprechend herzurichten, damit sie dieses wohlig warme Gefühl empfangen können. Gerade dann, wenn die Kinder einen Teil ihrer Wurzeln im orientalischen Raum haben. Die eigene Identität und das eigene Bewusstsein für die eigene Herkunft können sich nur auf diesem Wege entwickeln-indem wir diese mit offenen Armen und mit offenem Geist empfangen. Meine Kinder schicke ich morgen mit einer Schachtel Baklava in ihre Klassen. Sie dürfen ins Gespräch kommen, damit Vorurteile abgebaut werden können und mit längst veralteten Mythen rund um das Zuckerfest abgeschlossen werden kann. Beispielsweise ,dass man den Zucker feiert und sich den Bauch mit türkischen Honig vollschlägt und wahrscheinlich Salat aus einer Fußwanne isst . Im letzten Tütchen ihres Ramadan Kalenders ist eine kleine Aufgabe und ein 5€ Schein drin.
Als Zeichen der Bedeutung von Ramadan sollen sie einen Menschen wählen, von dem sie glauben, dass er/sie eine Freude gebrauchen könnte. Sie haben die 5€ frei zur Verfügung, um ihre gute Tat zu vollbringen. Das Geschenk soll die Barmherzigkeit sein, die sich im Laufe ihrer Aufgabe einstellt. Immerhin muss man darüber nachdenken und sein Herz ganz weit machen. Das ist keine typische Ramadan Tradition, aber das ist etwas, was man sich dazu einfallen lassen kann. Im Laufe der Jahre hab ich eines festgestellt: Es sind die Dinge, die uns verbinden, welche wichtig sind, was könnte uns mehr verbinden, als die Menschlichkeit?
Nika
Wusstet Ihr schon was Ramadan bedeutet und was beim Zuckerfest eigentlich geschieht? Wenn ihr Fragen habt, dann schreibt diese doch in die Kommentare. Ich leite sie dann an Nika weiter.
Alu
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