Wir sind Rabeneltern.
Wir zerrinnen in Sorge, perfekt sein zu wollen, finden uns wieder um Atem zu holen in der Absicht, den Dingen Schritt für Schritt ihren Lauf zu lassen, und scheitern dann am Anspruch, auf perfekte Weise gelassen zu sein… Meine Große heult, weil sie die Vokabeln halt leider nochmal abschreiben muss, der Bub heult, weil er Flöte üben muss, die Kleine heult, weil sich seit drei Jahren keiner mehr in ihr Bett gelegt hat zum Einschlafen.
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Und ich? Ich gehe eine rauchen, und meine Frau? Bucht ihre Flüge. Und wir beide? Organisieren einen Babysitter, der den Bub zum Anpassen der Högeräte begleitet. Was für Rabeneltern. Und was für normale Eltern.
Eine Einschulung bei Waldorfs
Normale Eltern auch bei der Einschulung. Die Kleine ist jetzt endlich richtige Erstklässlerin, ErstklAsslerin, wie es bei den Waldis heißt. Einschulung: Wie anscheinend überall in Berlin riesiger Bahnhof an diesem Wochenende. Die Aula platzt aus allen Nähten. Lange Gedichte. Unverständlich, weil schlechte Akustik. Viele musikalische Darbietungen. Unverständlich, weil schlechte Akustik. Aber total lieb, und jedes Kind der zweiten Klasse (35 an der Zahl) sagt was auf. Dauert auch nur eine dreiviertel Stunde. Verzerrte Gesichter der anwesenden Familienmitglieder, weil schlechtes Licht für Smartphone-Filmschn. Auszug der Kinderchen, zwei purzeln die Treppe runter, Notarzt kommt mit Bachblüten-Alarm. Nunmehr sehr verzerrte Gesichter der anwenden Familienmitglieder, denn der Auszug stand nicht auf dem Programm und nun hat man keine Smartphone-Filmschn machen können. Große Langeweile im Anschluss (wo sind die Kinderchen?), dafür Run aufs Büfett. 12 Sorten Nudelsalat mit vom Kind handgemaltem Erklärungsschild (glutenfrei, lactosefrei, tierfrei, sinnfrei). Auszug der Kinderchen. Übergabe der Zuckertüten.
Einschulung als Großfamilienevent
Wahnsinnige Mütter werfen Kamerabomben auf verschreckte Kinder mit Schokolade-Drang. Hysterische Großmütter fahren Tempotaschentuch-Geschütze zur Säuberung bekleckerter Münder auf. Angetrunkene Großväter dirigieren Fotogruppen, schimpfen übers Licht. Anwesende Patenonkel berichten baffes Staunen der West-Verwandtschaft ob Tatsache, man reise extra von München nach Berlin für eine Einschulung. Beklagenswert kindliche Erstklasslerinnen weinen, weil Annabelle aus der Neunten nicht ihre Patin ist. Ehrlich entrüstete Eltern werden sich beim Schulrat beschweren. Und hernach: Betrunkene Erwachsene ergötzen sich am geleisteten Event. Hoffentlich war das Essen toll, und hoffentlich wird das Kind diesen so irrwitzig wichtigen Tag niemals vergessen, und was wir für es geleistet haben!
Dabei soll das Kind halt einfach jetzt in die Schule kommen, verdorri nomal.
Jost Burger
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