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“Und wie war ihr Wochenende?” Wie Anträge dein Leben bestimmen #Brustkrebs

Seit fünf Wochen fahre ich jeden Morgen zur Bestrahlung, ein Fahrdienst holt mich ab und bringt mich auch danach wieder nach Hause. In der Bestrahlung geht es freundlich und höflich zu. Immer am Montag wird man sehr nett gefragt “Und wie war ihr Wochenende?” und obwohl das alles anstrengend und mies ist, fahre ich doch mit einem guten Gefühl jeden Tag in die Klinik und bin dankbar!

Damit ich jeden Tag dahinkomme, musste ich einen Antrag bei der Krankenkasse stellen. “Kostenübernahme Fahrtkosten” nennt sich der und natürlich ist die Übernahme der Kosten befristet und natürlich zahle ich auch an jedem Tag 10 Euro dazu. Insgesamt werde ich am Ende der Bestrahlung 250 Euro zugezahlt haben. Damit ich dieses Geld vielleicht erstattet bekomme, darf ich dann einen weiteren Antrag stellen, bei dem die Einkünfte aller Familienmitglieder einreichen muss und dann alle Quittungen von Gesundheitsleistungen aller einreichen darf (Spoiler: Zuzahlungen zum therapeutischen Klettern werden nicht akzeptiert).

Natürlich habe ich im Laufe der sehr anstrengenden Chemotherapie auch einen Antrag auf eine Haushaltshilfe gestellt. Dieser wird jeden Monat ganz kurz vor knapp erst bewilligt, so dass man oftmals gar niemanden pünktlich einsetzen kann. Für diese Haushaltshilfe zahle ich jeden Tag den sie bei uns ist ebenfalls 10 Euro dazu. Also überlege ich mir gut an welchen Tagen sie wirklich kommen kann, damit ich mit dem Geld haushalten kann. Die Gelder dafür habe ich auf einem Sparkonto zurückgelegt, denn die Abrechnung erfolgt erst am Ende der Haushaltshilfe. Ich gehe von ca. 600 Euro aus.

Für mein Krankengeld muss ich alle vier Wochen zum Arzt und dann hoffen, dass die Krankenkasse das pünktlich überweist. Einmal haben sie das nicht getan und erst auf meine telefonische Nachfrage habe ich dann erfahren, dass dies am Format der Krankschrift gelegen hätte, also müsste ich erst bis zum nächsten Zyklus warten. Das waren also knappe acht Wochen ohne Krankengeld und hier wurde es langsam brenzlig.  Den Nachweis des Krankengeldes brauche ich aber, damit ich wiederrum den Antrag für die Zuzahlungen stellen kann. Denn, obwohl die Krankenkasse mir das Geld überweist und die Bescheide zuschickt, kennt die andere Abteilung im gleichen Konzern nicht meine Bescheide und ich muss diese dahinschicken. Krankengeld musste ich auch nachweisen als ich den Antrag für Kinderzuschlag, Wohngeld (bzw Lastenzuschuss) usw. gestellt habe.  An einigen Tagen bin ich wegen der ganzen Anträge, Nachweise, Kopien, Quittungen usw. einfach nur noch müde und geschafft. Nach Chemotherapie, Operationen und Bestrahlung sitze ich am Abend auf dem Sofa und weine leise in meine Berge aus Papier!

Es ist ja nicht nur so, dass ich für mich alle Anträge stellen darf/muss. Nein, auch für unsere Kinder sind ständig Anträge und Nachweise zu erbringen. Im Artikel “Nixklusion” schrieb ich schon mal über den Berliner Behördendschungel bei einem behinderten Kind. Gerade im Moment haben wir zum Beispiel zwei Anträge für den Sohn auf dem Förderzentrum laufen, bei dem es um seine tägliche Schulbeförderung und eine mögliche Sommerreise mit extra Begleitperson für ihn geht. Natürlich müssen wir dafür wieder alles nachweisen, erneut.

Heute war ich bei der Physiotherapie. Die Onkologin hat mir Lymphdrainage verschrieben, nach meiner beidseitigen Mastektomie. Bei jedem Termin in der Physiotherapie erinnert mich die Praxis daran, dass sie mich nicht als Dauerpatientin aufnehmen kann und unser Arrangement nach 20 Sitzungen vorbei sein wird. Ich rufe also seit Wochen immer wieder Praxen an und war heute auf meinem Spaziergang mal wieder bei einer Physiotherapie persönlich anfragen, ob es eine Möglichkeit geben würde mich ab Mai diesen Jahres als Patientin für einen längeren Zeitraum aufzunehmen. Die Antwort war eindeutig: “Nein!” Während ich schon auf dem Weg nach draußen war, da schob der nette Herr mir noch ein: “Es ist alles nicht einfach” hinterher und ich muss sagen, das hat mich sehr getriggert. Mit Tränen voller Wut und auch Resignation bin ich eben nach Hause gekommen.

Ja, verdammt. Es ist alles nicht einfach! Es ist sogar richtig zum Kotzen! All das hab ich schon gemerkt und genau da liegt der Hase im Pfeffer. Ich bin in Krebsbehandlung und will gesund werden, aber wie das in diesen Systemen funktionieren soll, da bin ich an einigen Tagen nur überfragt! Ich gebe hier mein Bestes und dann bekommt man immer wieder solche Dämpfer verpasst.

Immer wieder denke ich darüber nach, dass ich in der Lage bin all diese Anträge zu stellen und diese Telefonate für Gesundheitsleistungen aller Familienmitglieder zu erledigen! Ich spreche Deutsch, ich habe einen Internetzugang. Ich kann auch mal Leute gedanklich durch den Hörer ziehen. Erst letzte Woche fuhr ich nach der Bestrahlung mit einer russisch sprechenden Dame im Auto zurück. Mit Hilfe von Handy Übersetzungen teilten der Krankentransportfahrer und ich ihr mit, dass sie jedes Mal 10 Euro zuzahlen muss. Sie war total geschockt und brach in Tränen aus. Zu Recht.

Ich gehe jetzt gleich eine Runde spazieren und schreie die Bäume an. Dann lese ich ein bisschen bei Paula und beruhige mich und dann setze ich mich mal an die Steuer *Augenzucken* und an die fehlenden Anträge für das Versorgungsamt, denn mir soll ja nicht langweilig werden, als krebskranker Mensch. Wo genau ich eine Physiotherapie herbekomme ist mir schleierhaft. Ich bin eine 40 jährige Frau, die chronisch krank ist und deren Zustand sich ohne diese Behandlungen verschlechtern wird. Na Prost Mahlzeit!

Am Ende der Woche bin ich dann wahrscheinlich mit meinen Bestrahlungen fertig. Ein bisschen vermissen werde ich diese Routine schon und am meisten die freundlichen Nachfragen in der Strahlenklinik “Und wie war ihr Wochenende?”, die eindeutig von Herzen kommen und mir jedes Mal zeigen: Es ist nicht alles schlecht wenn man krank ist.

Eure Alu

 

 

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4 Comments

  • Inga
    14. Februar 2023 at 17:01

    Dein Text geht mir echt nahe. Wie kann man einem kranken Menschen, einer Familie in so einer Ausnahmesituation so etwas zumuten? Warum muss man es denn extra schwer machen oder sagt nicht einmal Bescheid, wenn Zahlungen nicht kommen?! Ich denke zwar, das deutsche Gesundheitssystem ist bspw im Vergleich zu den USA wirklich gut und fängt viel auf, aber dieser Bürokratiescheiß und die Tatsache, dass du betteln musst um Physio, das geht doch gar nicht. Du bist echt tough. Aber ich wünschte, du müsstest weniger tough sein. Und dass es andere noch schwieriger haben, sprachlich, sozial, finanziell, das geht einem ja noch zusätzlich nahe. 💔

  • Leonie
    15. Februar 2023 at 07:19

    Ich bin ja sonst meist eher Stille Leserin…Aber selber Physiotherapeutin in einer Praxis angestellt. Leider viel zu weit weg von euch (Ostwestfalen-Lippe), aber das gäbe es bei uns ja nicht. Wenn ich einen Patienten annehme, habe ich damit zu rechnen, dass es ggf weitergeht. und bei Krebspatienten sowieso. Aber das kann natürlich auch bei einer zB operierten Schulter der Fall sein, weil Komplikationen auftreten! Also entweder nehme ich den Patienten an und “behalte” ihn dann auch, oder ich lasse es direkt….! Wir haben Patientinnen, die kommen seit 20 Jahren zu Lymphdrainage, 45 min bis 1 h. Und davon haben wir einige.

  • Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 18.2.2023 – Buddenbohm & Söhne
    18. Februar 2023 at 18:34

    […] über schier unendliche Schwierigkeiten. Sie erwähnt da an einer Stelle, dass sie Deutsch spricht, dahinter steht das fortwährende […]

  • Katrin
    24. April 2023 at 09:02

    ich bin schon lange der Meinung, dass wir in Deutschland ein hervorragendes Gesundheitssystem haben- aber leider ein miserables Krankheitssystem. mein Onkel hat gegen Mandelkrebs gekämpft, er konnte lange Zeit nicht sprechen und irgendwann hat die Krankenkasse den Vertrag mit dem Lieferanten der Flüssignahrung gekündigt, ohne eine Alternative aufzuzeigen. Gott sei Dank war meine Oma da noch fit und konnte den Kampf aufnehmen, er wäre alleine wahrscheinlich verhungert. Von Herzen alles Gute für Dich!!

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