Wir stehen mit unseren drei Kindern in der Ferienwohnung im Bad. Die letzten Wochen waren stets zu fünft. Schon K1 stellte fest: „Wozu brauchen wir noch Familienurlaub? Wir sind doch schon seit 12 Wochen zusammen“. Es ist 22:00 Uhr. Langsam stellt sich die Hoffnung auf Ruhe ein. Doch für anschließende qualitätsvolle Elternzeit fehlt uns die Kraft.
Also werden wir uns zu den Kindern legen oder setzen. Die kennen sowieso keinen Schlafrhythmus mehr. Da kommt Alu zu mir und umarmt mich. Ich beginne zu fantasieren, wo wir jetzt wären ohne Kinder, es fallen wohlklingende Titel. Aber wo wären wir?
Vorab: Wir lieben unsere Kinder und wollen unser Familienleben nicht tauschen. Doch das Gedankenspiel mache ich gerne einmal.
Legen wir unsere bisherige Entwicklung, trotz oder gerade weil wie Familie haben, zugrunde und ziehen die Zeiten ab, in denen wir aufgrund der Kinder nicht alles auf Karriere gesetzt haben, wären wir ziemlich weit. Alu wäre vermutlich Referatsleiterin in einem Bundesministerium oder einer Behörde, vermutlich hätte sie ihre Promotion durchgezogen. Ich wäre mittlerweile habilitiert oder würde eine Bildungseinrichtung leiten, in Zahlen würde das bedeuten: Wir würden zu den absoluten Spitzenverdienern gehören.
Wir würden nach der Arbeit im Büro zu Veranstaltungen gehen. Mal dienstlich, mal privat. Wobei, so recht trennen würden wir es gar nicht mehr können, nach mehr als zehn Jahren im Job. Wir hätten unsere Netzwerke, Patenkinder und ab und an die Nichten und Neffen zu Gast. Wir würden exklusiv kochen und nicht nur Nudeln mit Tomatensoße drei Mal die Woche. Jeder könnte sein Hobby oder seine Spleen leben.
Dienstreisen und Arbeit abseits der üblichen Zeiten wären kein Problem. Gutbürgerliche Bildungsschicht mit Theaterabo, das wären wir. Der heimische Schreibtisch wäre ein Lieblingsplatz, denn dort könnten wir Dinge tun die wir mögen. Schreiben, Lesen, Nachdenken und zwischendurch wären ausgiebige Spaziergänge drin.
Anstatt Erzgebirge mit meckrigen Kindern und Sommerrodelbahn, wären wir in Tirol mit Blick auf einen wunderbaren See und einem Pool auf dem Balkon eines Hotels mit erstklassiger Gastronomie. Natürlich könnten wir unsere Urlaube außerhalb der Saison und der Ferien machen. Das hieße wir hätten auch im Urlaub unsere Ruhe und keine Schlacht am Büffet oder schreiende Kinder im Speisesaal.
Unterwegs würden wir Frau Prof. Dr. Dr. Meier mit ihrem Mann dem Intendanten vom Schweizerischen Fernsehen kennenlernen und uns nach drei gemeinsamen Abenden und einer Partie Bogenschießen anfreunden und wiedersehen, denn auch sie sind kinderlos geblieben. An einigen Abenden sprechen wir darüber, an anderen Abenden bleiben wir still.
Stattdessen sind wir in eher einfachen Unterkünften und machen vor allem ein auf die Kinder zugeschnittenes Ferienprogramm.
Wir fühlen uns manche Tage ausgelutscht und denken stets dienstlich nicht zu genügen. Die gleichaltrigen Eltern, die es weiter geschafft haben beargwöhnen wir manchmal. Weil wir nicht verstehen welches Wunder sie die Treppe hochgetragen und wie sie es geschafft immer pünktlich wach zu werden. Dann werden wir kurz vernünftig und sehen ein, dass Erfolg und Karriere nicht alles ist in dieser altruistischen Welt (Achtung Ironie!).
Denn die Kinder geben einem ja so vieles zurück. Nur, dass wir zuvor rund eine halbe Million in sie investiert haben werden. Hoffentlich bevor sie uns nach Weit-Weit-Weg in ein Altenheim abschieben wollen.
Genug mit fieser Bitterkeit: Wir lieben unser Leben und denken oft genug, dass es spannender sein muss als die allzu geradlinigen Biografien von kinderlosen Paaren, deren Schicksale und Hintergründe wir gar nicht kennen und beurteilen können. Doch kurz mal die “Was-wäre-wenn-Maschinerie” starten macht auch Spaß.
Wo wärt ihr denn in eurer Fantasie jetzt ohne Kinder? Lasst mal hören!
Euer Konsti (dankbarer und stolzer Vater) (nix mit #RegrettingFatherhood)
6 Comments
Anne
28. Juli 2020 at 13:00Moin,
es hätte ohne Kinder vermutlich viel, viel länger gedauert zu erkennen, was ich mache, weil ich das bin und will, und was um so zu sein wie andere mich haben wollen (oder das entsprechende Gegenteil). Danke für den Text. Ich wäre irgendwo wo alle hinwollen, aber nicht da, wo es mir gut geht.
LG Anne
Lena
28. Juli 2020 at 16:06… dieses Gedankenspiel spiele ich auch ab und zu gern. Ja, wo wären wir? Ich glaube, für meinen Mann hätte sich nicht arg viel geändert im Alltag – aber die Freizeit bzw. der Urlaub. Viel mehr Wanderungen, Reisen, Abenteuer, Rucksacktourismus.
Ich hätte nochmal einen anderen Berufsweg eingeschlagen bzw. mein Gebiet sehr erweitert. Und ich hätte Hobbies. So richtige. Ein Pferd, zum Beispiel. Ein Motorrad. Vielleicht wären wir auch ausgewandert. Nach Schweden. Oder Kanada.
Wäre ich das glücklicher? Oder weniger glücklich? Ganz ehrlich: keine Ahnung. Und ich werde es nie erfahren. Stattdessen bin ich unglaublich dankbar für das, was ich habe.
LG aus dem Süden,
Lena
Alu und Konsti
28. Juli 2020 at 20:35Hallo Anne,
vielen Dank für deinen Kommentar. Das mit dem gut gehen sehe ich ähnlich.
Denn mehr Arbeit oder nahezu nur Arbeit würde mich nicht beglücken.
Viel Erfolg und Glück weiterhin
Konsti
Alu und Konsti
28. Juli 2020 at 20:36Hallo Lena,
ja, zum Glück sind es nur Gedankenspiele. Dankbar bin ich auch sehr!
Konsti
Karin
31. Juli 2020 at 11:47Ja machmal hat man so Gedanken. Ich packe gerade für unseren Bauernhof-Urlaub und denke mir: Das mache ich nie wieder! Nächstes Jahr geht’s in ein schickes all inclusive Hotel. Doch morgen, wenn die Kinder freudig durch den Kuhstall laufen, wird mir das Herz aufgehen.
Nach zwei Jahren Kinderwunschbehandlung und jetzt zwei wunderbaren Töchtern weiß ich gar nicht wie ich ohne Kindern leben sollte, denn ich weiß, dass mich Karriere und noch mehr Geld nicht glücklich gemacht hätten. Und als wir vor 10 Jahren in unseren schicken Neubau eingezogen sind und es dann mit dem schwanger werden nicht klappen wollte, hätte ich unser Haus sofort für ein Kind hergegeben.
Alu und Konsti
31. Juli 2020 at 20:55Liebe Karin,
vielen Dank für deine ehrliche Antwort. Wir hatten heute auch wieder so einen auf und ab Tag mit den Kindern.
Doch am Ende ist es nur wunderbar und dieses pralle Leben hätten wir anders nie gehabt.
Also einfach mehr genießen!
Herzlich Konsti