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Elternleben

“Vom Klein werden” – mit Kindern über den Tod sprechen

Das Projekt Tausend Tode schreiben

Christiane Frohmann ist eine Wucht. Nach dem Interview 2012 bei “Ich mach was mit Büchern” hat sie bereits meine Aufmerksamkeit erregt.Mit dem Projekt “Tausend Tode schreiben” hat sich die Verlegerin ein riesiges Projekt zum Thema: Tod und Gesellschaft vorgenommen, was seinesgleichen sucht. Nach Version 1/4 ist nun Version 2/4 mit 250 Texten am Wochenende erschienen. In dieser neuen Version ist auch ein Text von mir (Alu) Nr. 180 dabei.

Die kindliche Sicht auf den Tod

Mir war von Anfang an klar, dass ich bei diesem Thema auch die kindliche Sicht einbeziehen möchte. Daher habe ich ein Erlebnis, mit unserer großen Tochter, zum Anlass genommen. Gleichzeitig ist der Text ein Lebewohl an meine Großtante, die am selben Tag wie ich (9.2.) Geburtstag hat und von der ich mich in diesem Herbst verabschieden musste. Ich bedanke mich bei Christiane Frohmann für dieses tolle Projekt, die Texte der vielen tollen Autoren meiner Twitter TL lassen mich nachdenklich, traurig, versöhnlich, aber auch fröhlich zurück. Ich wünsche ihr viel Erfolg mit dem Projekt und drücke die Daumen für die Leipziger Buchmesse. Ich würde mich freuen, wenn einige unserer Leserinnen das Ebook bei minimore erwerben, denn alle Einnahmen gehen an das Kinderhospiz Sonnenhof in Berlin.

180.

 „Wenn ich einmal tot bin“, sagt das Kind „dann muss ich nie wieder das Kinderzimmer aufräumen, nie wieder.“

Wir sitzen bei der Beerdigung von Tante Lieschen. Elisabeth Groß, meiner Großtante. Was muss ich dann alles nicht mehr tun, denke ich mir. Was muss ich nie mehr tun? Ich muss nicht mehr arbeiten gehen, nicht mehr aufräumen, nicht mehr kochen, nicht mehr Wäsche sortieren. Nie mehr! Nicht mehr doofe Kommentare hören, nicht mehr Diät halten, nicht mehr Ja sagen und nein denken. Nie mehr! Nicht mehr Kopfrechnen, nicht mehr U-Bahn fahren, nicht mehr lächeln und gleichzeitig Arschloch denken. Nie mehr! Ich muss dann nicht mehr ich sein. Das wäre schön. Nicht mehr ich sein, nur noch ein Häufchen Asche in einer Dose. Wie die Großtante. Die Großtante, die in einer kleinen Dose ist.
Die Autorin war auch schon mal klein.
Das Kind fragt nach der Dose und der Asche. Fragt mich, warum das Tante Lieschen in einer Dose sei und wie die das gemacht hätte, die Frau Groß. Ich schnäuze die Tränen weg, sage: „Die Tante L., die haben sie klein gemacht und immer kleiner und dann war nichts mehr von ihr übrig und dann war sie tot und hat in diese Dose gepasst.“
Das Kind schaut mich an, große, grüne Augen schauen mich an. Es nimmt meine Hand und sagt: „Du lässt dich nicht kleinmachen Mama, bis du in eine Dose passt, du bleibst groß und stark und ich halte deine Hand, auch wenn du alt bist und schrumpelig.“ Wir begleiten die Großtante in der kleinen Dose über den Friedhof. Schauen zu, wie sie in ein kleines Loch hineingepackt wird, wir schaufeln kleine Erdhaufen darauf, auf die kleine Tante, die einmal groß war, die Großtante.
Nie mehr die Hand vom Kind halten, denke ich dann. Das kann ich dann nicht mehr, wenn ich tot bin. Nicht mehr Küsse verteilen, Geschichten vorlesen. Nie mehr! Nicht mehr schreiben können, Briefe und Postkarten. Nie mehr! Nicht mehr das Kind begleiten und dessen Kinder und die Kindeskinder. Nie mehr! Nicht mehr den eigenen Atem im Winter sehen. Nie mehr! Nicht mehr ich sein, groß sein und stark sein, sondern klein sein, so klein, dass ich in eine Dose passe. Ich möchte nicht klein sein!
Sterben sprechen mit Kindern
Ich nicht, denke ich und halte die Hand vom Kind fest. Nicht mehr loslassen wollen. Nie mehr! „Nie mehr loslassen“, sage ich zum Kind mit der kleinen Hand und es fasst meine große Hand, ganz fest. So wie die Großtante meine Hand gehalten hat, als ich noch klein war und sie die Große.
Alu

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